Prinzipien in Genossenschaften —
warum man in einer Wohnungsbaugenossenschaft anders wohnt
Seit ihren Gründungen basieren Genossenschaften auf Selbsthilfe und Solidarität aller Genossenschaftsmitglieder. Wesensmerkmal einer Genossenschaft ist, dass sich dort viele kapitalschwache Personen sammeln um gemeinsam einen großen Betrag zusammenzutragen. Dieser wird dann zum Nutzen und Vorteil aller Genossenschaftsmitglieder eingesetzt. Aus diesem Sachverhalt ergeben sich folgende drei Prinzipien in Genossenschaften:
Das Demokratieprinzip
Unabhängig von der Summe der Geschäftsanteile hat jedes Genossenschaftsmitglied eine Stimme. Die Mitgliederversammlung zählt aus diesem Grund zum höchsten Entscheidungsgremium der Genossenschaft. Außerdem haben alle Genossenschaftsmitglieder die gleichen Rechte und Pflichten.
Eine demokratische Rechtsform ist jedoch kein Garant für Demokratie. Die Vergangenheit und Gegenwart belegen, dass Demokratie in Genossenschaften im Wesentlichen von der politischen Kultur der Mitglieder und Organe abhängt.
Das Identitätsprinzip
Es findet eine Vertauschung der üblichen Rollen statt, die für die Genossenschaftsmitglieder identitätsstiftend ist. So werden in Wohnungsgenossenschaften die wohnungssuchenden Genossenschaftsmitglieder zu Bauherren und die wohnungsnutzenden Genossenschaftsmitglieder zu Vermietern.
Das Förderprinzip
Die Genossenschaftsmitglieder erwerben durch den freiwilligen Eintritt in die Genossenschaft die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Förderung durch die Genossenschaft. In der Regel steht die wirtschaftliche Förderung oft an erster Stelle.
Unseren Beobachtungen nach haben sich insbesondere die größeren, aber auch die kleineren Genossenschaften von diesen Prinzipien verabschiedet. Die Mitgliederversammlungen bzw. Vertreterversammlungen sind zu Pflichtveranstaltungen verkommen, wo nur noch die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbestimmungen abgearbeitet werden. Echte Mitbestimmung und Demokratie im Sinne der o.g. Prinzipien findet dort nicht statt.
Genossenschaftsmitglieder fühlen sich nicht mehr als ihr eigener Vermieter. Sie werden größtenteils wie Mieter behandelt und erfahrungsgemäß auch so bezeichnet. Um ihre Interessen zu wahren, müssen Genossenschaftsmitglieder immer mehr das Mietrecht in Anspruch nehmen und vor Gericht ziehen, anstelle die Mitgliederversammlung bzw. Vertreterversammlung und Satzung dafür zu nutzen.
Bei Nutzungsentgelten, die sich innerhalb der Spanne des Mietspiegels bewegen oder sogar darüber liegen, kann man nicht mehr von einer wirtschaftlichen Förderung der Genossenschaftsmitglieder sprechen. Damit werden Genossenschaften zu Mietpreistreibern und in diesem Fall könnte man auch bei dem Vermieter XY wohnen.
Was können Sie tun?
- überprüfen Sie die weiter oben beschriebenen Prinzipien in Ihrer Genossenschaft. Für den Fall, dass in Ihrer Genossenschaft die Prinzipien gelebt werden, dann schicken Sie uns bitte eine Mail. Wir sind immer auf der Suche nach positiven Beispielen und gelebter und verankerter Demokratie in Genossenschaften. Falls die Prinzipien keine Anwendung mehr finden, gilt es Strategien zu entwickeln, um sie wieder in der Genossenschaft verfügbar zu machen.
- Denken und Handeln Sie nicht individuell! Halten Sie Ausschau nach Verbündeten und Gleichgesinnten. Genossenschaften basieren auf Solidarität. Unterstützen Sie aktive Genossenschaftsmitglieder.
- Widerstehen Sie Einzelgesprächen mit dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat, sowie den daraus ggf. entstehenden Individuallösungen und stellen Sie Defizite auf eine breite Diskussionsbasis, damit alle davon profitieren.
- Berücksichtigen Sie, Forderungen durchzusetzen und Machtstrukturen aufzulösen ist politische Arbeit und erfordert politisches Denken und nicht soziales.
- Nehmen Sie aktiv am Geschehen Ihrer Genossenschaft teil, denn es handelt sich hier um Ihr elementares Bedürfnis, nämlich wie und zu welchen Bedingungen Sie wohnen!