Nutzungsentgelte in Wohnungsbaugenossenschaften
Genossenschaften bestehen aufgrund ihrer Rechtsform aus 3 Säulen. Die erste Säule sind die Mitglieder, diese sind die Kapitalgeber und Eigentümer der Genossenschaft. Die zweite Säule ist der Aufsichtsrat. Er wird von der Generalversammlung bzw. Vertreterversammlung gewählt und seine Aufgabe ist den Vorstand zu kontrollieren, zu überwachen und zu beraten. Die dritte Säule ist der Vorstand. Er wird vom Aufsichtsrat bestellt und führt die Geschäfte. Dies ist eine sehr vereinfachte Darstellung, die jedoch deutlich zeigt, dass Mitglieder von Genossenschaften Eigentümer und Kapitalgeber sind, folglich nichts mieten, sondern etwas nutzen und dafür ein Entgelt entrichten. Aus diesem Zusammenhang wird folgerichtig der Begriff „Nutzungsentgelt” abgeleitet. Von den Vorständen vieler Genossenschaften werden jedoch häufig die Begriffe „Mieter” und „Mieten” benutzt. Handelt es sich hierbei nur um einen oberflächlichen Versprecher oder ist es ein unzutreffendes Selbstverständnis?
In der Vergangenheit waren die „Nutzungsentgelte” der Wohnungsbaugenossenschaften wesentlich niedriger im Vergleich zu den „Mieten” der privaten Vermieter. Im Vordergrund stand für Wohnungsbaugenossenschaften einst die wirtschaftliche Förderung der Genossen und genau diese war gleichzeitig Anreiz, einer Wohnungsbaugenossenschaft überhaupt beizutreten. Dies kann man sehr gut auf Seite 10 der Festschrift der Charlottenburger Baugenossenschaft anlässlich der 100-Jahrfeier nachlesen. Dort steht folgender Text aus dem Jahre 1908: „Was kann der Mieter tun, um diesen ewigen Angriffen auf seinen Geldbeutel ein Ziel zu setzen? Als einzelner ist er machtlos gegen das festgefügte Bollwerk der Grundrente. Der Erfolg liegt ganz allein im Zusammenschluss. Er werde Mitglied der Charlottenburger Baugenossenschaft. Damit erwirbt er das Anrecht auf eine Wohnung in den von ihr zu errichtenden Häusern. … Sie (Anmerkung der Autorin: gemeint sind die Wohnungen) werden 8-10 Prozent billiger sein als gleichwertige Wohnungen aus dem Privatbesitz. Dabei sind sie, solange das Mitglied seinen Verpflichtungen nachkommt, unkündbar und eine Mietsteigerung ist ausgeschlossen” *.
Von diesen Idealen haben sich die Wohnungsbaugenossenschaften deutlich verabschiedet. Wie Nutzungsentgelte derzeit in den Wohnungsbaugenossenschaften kalkuliert werden, ist für Mitglieder in der Regel nicht nachvollziehbar und die Orientierung am Mietspiegel ist unübersehbar. Im Internet kann man bei den Wohnungsangeboten einzelner Wohnungsbaugenossenschaften hierfür schnell Beweise finden. Die noch günstigen Nutzungsentgelte von langjährigen Mitgliedern werden Schritt für Schritt dem Mietspiegel angepasst. Da es in Wohnungsbaugenossenschaften eine geringe Fluktuation gibt, sind die Durchschnittswerte der Nutzungsentgelte pro Quadratmeter noch (!) relativ gering im Vergleich zu den privaten Vermietern. Dies wird sich jedoch in der Zukunft verändern. Wohnungsbaugenossenschaften sind folglich kein Garant mehr für moderate Nutzungsentgelte. Dies müssen die Politiker endlich zur Kenntnis nehmen und entsprechende Gesetzesänderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, sowie im Genossenschaftsrecht vornehmen. Außerdem widerspricht eine Orientierung am Mietspiegel auch deutlich dem Selbstverständnis von Genossenschaften, da diese nicht wie die privaten Vermieter gewinnorientiert sind, sondern mitgliederorientiert agieren sollten.
Gesamtgesellschaftlich üben die Wohnungsbaugenossenschaften mit ihren hohen, fast ausnahmslos am Mietspiegel orientierten oder sogar darüber liegenden Nutzungsentgelten keinen positiven Einfluss mehr aus. Zum einen treiben sie mit einem Wohnungsanteil von 11% des Berliner Wohnungsbestandes den Durchschnittswert des Mietspiegels mit nach oben, denn beim Ermitteln des Mietspiegels wird nicht zwischen privaten Vermietern, Wohnungsbaugesellschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften unterschieden. Wären die Nutzungsentgelte der Wohnungsbaugenossenschaften niedriger, würde dies auch den Durchschnittswert des Mietspiegels positiv beeinflussen, nämlich senken.
Zum anderen tragen Wohnungsbaugenossenschaften erstmals mit dazu bei, dass schlechter verdienende Bevölkerungsschichten aus bestimmten Bereichen der Stadt verdrängt werden. Ganze Stadtteile unterliegen derzeit einem Wandel! Investoren, und das können auch Genossenschaften sein, verändern das Stadtbild durch Sanierungen, Errichten neuer Geschäfte und Einrichtungen, natürlich mit der Folge, dass die Mieten und Nutzungsentgelte steigen und für bestimmte Bevölkerungsschichten nicht mehr bezahlbar sind. Alteingesessene Anwohner verlassen notgedrungen das Gebiet und Besserverdienende ziehen ein. Soziologen beschreiben diesen Zustand mit dem Begriff „Gentrifizierung”. Wohnungsbaugenossenschaften mit ihren sich über ganz Berlin erstreckenden Wohnungen, könnten mit preiswerten Nutzungsentgelten dieser Entwicklung entgegensteuern und für soziale Gerechtigkeit und Ausgleich sorgen. Doch bisher werden sie in dieser Richtung nicht aktiv.
Was können Sie tun?
- Haben Sie ein wachsames Auge auf die Nutzungsentgelte und damit zu guter Letzt auch auf ihren eigenen Geldbeutel. Vergleichen Sie Ihr eigenes „Nutzungsentgelt” nicht mit den Mieten im Immobilienteil Ihrer Tageszeitung, sondern schauen Sie sich zur Abwechslung einmal das Wohngeld bei Eigentumswohnungen an. Sie sind nämlich nicht Mieter, sondern Eigentümer! Behalten Sie auch die Entwicklung aller Nutzungsentgelte im Auge und nicht nur das eigene und ganz wichtig, schließen Sie sich mit anderen zusammen. Unterstützen Sie alle, die die Nutzungsentgelte kritisch hinterfragen.
- Fordern Sie Ihren Vorstand auf Lösungen zu finden, um der Steigerung von Nutzungsentgelten entgegenzusteuern.
- Lassen Sie sich auch nicht mit Horrorszenarien abspeisen, dass bei preiswerten Nutzungsentgelten kein Geld und damit kein Spielraum mehr für Renovierungen und Instandsetzungen vorhanden sei, sondern fordern Sie Ihre Vorstände auf, die exakten und ausführlichen Zahlen auf den Tisch zu legen und zu erläutern.
- Und bedenken Sie auch, dass Sie im schlimmsten Fall über ein ganz entscheidendes Instrumentarium verfügen, nämlich die „Abberufung des Vorstandes”. Erinnern Sie ihn daran, dass er „nur” Ihre Geschäfte führt und nicht umgekehrt.
- Im Internet stellt die Senatsverwaltung von Berlin die Online-Abfrage des Mietspiegels kostenlos zur Verfügung. Hier können Sie schnell und unkompliziert überprüfen, wie nah oder fern sich Ihr persönliches Nutzungsentgelt am Mittelwert oder der Obergrenze des Mietspiegels befindet.
zur Online-Abfrage Berliner Mietspiegel